Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Wilde Etüden & zarte Gesänge mit Gogow & Putensen 17.12.2023 Am Ende der Straße flimmern bunt und grell die Lichter des Weihnachtsmarktes. Meine Schritte führen mich aber zum Konzerthaus von Wernigerode, wo „Wilde Etüden & zarte Gesänge“ mit Georgi Gogow und Thomas Putensen locken. Zum zweiten Mal übrigens. Auch in diesem Jahr ist die Hütte an diesem 3. Advent rappelvoll, nirgends ein freies Plätzchen zu finden. Applaus, als die Stars des Abends, sowie Thomas Braun (Violine, Flügelhorn) und Michael Bahlk (Kontrabass, Violine) die Bühne betreten. Alle sind noch am Einstimmen, als Pute spontan zu singen beginnt: „Sind die Lichter angezündet“, und wie von magischer Hand dirigiert, steigt das Auditorium a-capella ein WOW! Ich staune, wie gut wir alle diesen Text noch drauf haben. Während die Ränge dreistimmig Weihnachten huldigen, breitet sich Gänsehaut über meinen Körper aus. Der norddeutsche Ossi-Magier dirigiert die Massen und alle sind glücklich dabei. Das, genau das macht das Erlebnis Putensen aus! Die Mini-Ausgabe des Putensen Beat-Ensembles Pute, Joro sowie Thomas und Michael entführt uns groovend und swingend mit „Regen über Mühlenkamp“ in die Klangwelt der instrumentalen und improvisierenden Fertigkeiten. Lässig am Piano sitzend, besingt Pute das „Regendorf Mühlenkamp“. Ein Fingerzeig oder erhobene Augenbrauen genügen, ein Solo der Violine oder vom Bass in die locker fließende Melodie einzuflechten, den Rhythmus zu ändern oder gar an der Tonart zu „schrauben“. So eine Leichtigkeit, fernab von Set-List und Teleprompter, schafft nur ein Musikus vom Schlage eines Putensen mit seinen Musikanten zu zaubern. Als ihm danach beim „Nordwind“ gar der Monitor zu leise scheint, „ermahnt“ er den Mann am Pult und „droht“ mit Murricones Melodie „Lied vom Tod“. Im Saal bricht unbändiges Lachen aus, wir toben und jubeln spontan & live! Genau so locker und fluffig wird es den ganzen Abend über weiter ablaufen. Ich liebe es und ja, für diese Abendstunden vergesse ich das Ampeltheater, das EU-Gemauschel und das viele Kriegsgeschrei, das sich über uns derzeit ergießt. Die Welt taumelt in die Apokalypse, doch im Augenblick möchte ich einfach nur Musik hören, mal zwei Stunden lang auftanken, um nicht selbst ins Taumeln zu geraten. Das Ensemble mischt gekonnt norddeutsche Folk-Musik, wie das Lied vom „Fischer und sin Fru“, mit klassisch- osttypischem Liedgut wie „Deine Liebe und mein Lied“ von Holger Biege und man fädelt in die „Jorinde“ mal eben so das „Rennsteiglied (Ich wandre ja so gerne)“ ein. Keine Frage, da stimmen wir wieder text- und melodiesicher ein. Ganz großes Kino, diese Live-spontan-Mixtur zu erleben. Das da noch Manne Krug mit „Du bist heute wieder wie neu“ hinein passt, wundert jetzt keinen mehr. Die spulen gerade unser aller Vita in Liedern ab, Joro glänzt mehrmals solistisch an der Gitarre und nicht wie gewohnt mit Geigentönen. „Das Lied vom Bleiben“ hatte ich mir insgeheim gewünscht, wieder zu hören. Pute stellte es vor einem Jahr vor und ich hab’ mich in dieses Kleinod verliebt. Heute hören wir es zum zweiten Mal, aber nicht einfach als Wiederholung, nein, als Premium-Version: Putensen am Piano, begleitet von drei Violinen: Gogow, Braun & Bahlk. Drei unterschiedliche Klangfarben, drei Solisten, ein Gleichklang und jeder mit einem Solo auf seiner Violine. Da wird mir weihnachtlich warm ums Herz: „Ich bin ein alter Baumstamm, meine Wurzeln hab’ ich tief versenkt, man hat mich nicht gebrochen und mir etwas Zeit geschenkt.“ Zum Heulen schön. Melodie und Worte kratzen an meiner Seele, ich fühle mich ertappt. DANKE Pute, Du bist ein großartiger Chaot, aber als Musikus ein unverbesserlicher Romantiker mit Herz! Nach dem gesungenen Inserat „Suche altersgerechte Wohnung“ steht uns allen, Dank einer zeitlichen Umleitung, eine Pause zu. Danach aber wird’s noch emotionaler. Habt Ihr schon einmal erlebt, dass Musiker, statt die Bühne zu betreten, mit schlichter Wandergitarre und Violine ausgestattet, ins Publikum treten, um gemeinsames Chorsingen zu veranstalten? Genau damit startet die Musikanten- Crew in den zweiten Teil des Abends. So ein Gemeinschaftsgefühl beim Singen von Biege’s „Sagte mal ein großer Dichter“ kann Euch kein noch so teures Smartphon, keine noch so bescheuerte Challenge vermitteln! Du sitzt, singst, hörst Deine Nachbarn auch singen, sogar Deinen alten Hintermann brummen und im Rang über Dir singen sie zaghaft die zweiten Stimmen dazu. Der weißhaarige sympathisch agierende Nordmann aus Greiswald, Pute genannt, schafft das mit scheinbar spielerischer Leichtigkeit. Für den Moment wird man mit Glückshormonen geflutet und fühlt sich von allen bescheuerten Zwängen befreit. Das, genau das ist singen! Das vermag Musik, wenn sie live und von Könnern geboten wird. Plötzlich gehörst Du aktiv dazu und dann schnappt sich der Ossi-Riese so eine „Schrammelgitarre“, erzählt von seiner Mutter und bekommt mit einem quasi Liebeslied für sie, das er „Mütterchen“ nennt - Gruß an alle freundlichen Russen - die Kurve gedreht, ohne auch nur ein einziges Mal an das Geschehen da draußen zu erinnern! Chapeau, lasst solche „Chaoten“ in die Politik! Mit „Als der Regen niederging“ holt er uns noch einmal den Biege vom Rockerhimmel und würdigt ihn auch noch mit „So oder so“, einem Lied, dass er für ihn (in letzter Minute) schrieb. Ein Lied in c-Moll soll das nächste werden, meint Pute dann, und deutet eine Melodie an, die mich innerlich laut jubeln lässt: „Wenn du schläfst mein Kind“, verewigt auf einer steinalten Amiga-Single (1964), gesungen von Manfred Krug. Mich reißen die Emotionen hin und her, meine Kindheit zieht an mir vorüber und mein halbes Leben im Schnelldurchlauf gleich mit: Ich war ein glückliches Kind, verbrachte eine glückliche Jugend. Ich bin stolz auf meine Eltern und auf die Melodien, die mich in jenen Tagen prägten. Dieses klingende Kleinod ist so eine. Da geht das Lied über die „Graue Stadt“ beinahe unter. Kann sein, dass sich Joro in der „Alten Stadt“ verirrte und deshalb den Weg hinauf zur Orgel-Empore nicht gleich fand. Pute ruft ihn, wir lachen und Joro ersteigt die Treppe zur Orgel. Alles gut. Da oben wartet der weißhaarige Nordmann aus Greifwald, flankiert von Thomas Braun mit Flügelhorn und Michael Bahlk mit der Violine. Die Blicke wandern in die Höhe, als die wuchtigen Orgelakkorde die „Toccata und Fuge in d-Moll“ von Johann Sebastian Bach in den Raum drücken. Welch majestätischer Klang und als wäre das nicht schon genug, wird daraus das Intro zu „Wer die Rose ehrt“, die Thomas in seiner ganz eigenen Art interpretiert. Ich könnte heulen und schlucke doch nur diesen Kloß runter, hinter dem sich all meine Gefühle stauen. CÄSAR Du fehlst so sehr, wie all die anderen Großen auch! Ein wenig „Semper Fidelis“ vorweg genommen, denke ich wehmütig. Wer jetzt noch eine Steigerung braucht, bekommt sie mit einer grandiosen Fassung von „Am Fenster“ geboten wat mut, dat mut. Das Gefühl, im Raum zu schweben, könnte gut passen. In diesem grandiosen Finale stimmt einfach alles, passt alles zueinander: die vorfestliche Stimmung, die verbindenden Emotionen, viele ähnliche Erinnerungen und das Gefühl, diese Melodien in die eigene Vita integrieren zu können. Das macht uns besonders, verbindet uns miteinander. Dieser Abend macht mich gerade unsagbar stolz. DANKE Pute und Joro, danke Michael und Thomas für dieses beglückende Geschenk in düsteren Zeiten (und für die Erinnerung, wann Beethoven’s Geburtstag gefeiert werden sollte heute nämlich und an jedem weiteren 17. Dezember). Na klar tobt der ausverkaufte Saal, was sonst! Tobend lasse auch ich meinen Empfindungen freien Lauf und dann setzen wir uns noch einmal für ein letztes „Du sagtest leider nur Gut Nacht“. Lauschen und genießen, ehe stehende Ovationen den Konzertabend voll „Wilder Etüden & zarter Gesänge“, vom angedeuteten „Peter Gunn“ bis zum „City- Fenster“, in Wohlklang selig austrudeln lassen. Während die meisten gehen, werden die beiden Hauptakteure noch umworben und zu Fototerminen gebeten. Auch mir ist es vergönnt, mit Thomas Putensen und Joro Gogow zu sprechen sowie mich von Freunden mit Wünschen für ein frohes Fest zu verabschieden. Der Liederabend wird noch lange meine Erinnerungen bestimmen und jede dieser Erinnerungen wird mir später eine Geschichte aus sechs Jahrzehnten mit Musik erzählen können. Rock-Rentner ist nur eine künstliche Wortkrücke, um das, was dahinter steckt, werde ich manchmal beneidet, fühlt sich für mich aber erfüllend und glücklich an – alles Gute, Euer Rock-Rentner HH oder Hartmut